Mittwoch, 27. Oktober 2010

10 Fragen an... Chen Danyan

Dieser Artikel erscheint in Medienpartnerschaft mit dem Deutsch-Chinesischen Kulturnetz www.de-cn.net. In der Rubrik „Zehn Fragen an…“ erzählen bekannte Persönlichkeiten des deutschen und chinesischen Kulturlebens über ihre persönliche Verbindung zum jeweils anderen Land. Die Schriftstellerin Chen Danyan erzählt im Interview von ihren Beziehungen zu Deutschland.

Die Schriftstellerin Chen Danyan, Jahrgang
1958, veröffentlichte bereits als Schülerin erste literarische Texte. Von 1978 bis 1982 studierte sie chinesische Literatur an der Eastern China Normal University und arbeitete nach ihrem Abschluss als Redakteurin des Children's Epoch Magazine.

Chen Danyan ist eine der wenigen chinesischen Schriftsteller/innen, die sich vor allem mit Jugendlichen und ihrer Gefühlswelt beschäftigt. Ihre Geschichten und Romane sind in China vielfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet worden. Großen Erfolg hatte die deutsche Übersetzung ihres Buches über die Kindheit eines Mädchens in Shanghai während der Kulturrevolution, welches 1995 unter dem Titel Neun Leben: Eine Kindheit in Shanghai in einer Übersetzung von Barbara Wang erschien. Es erhielt mehrere Preise in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie 1997 auch den UNESCO-Preis für Kinder- und Jugendliteratur im Dienst der Toleranz.

Ein weiteres wichtiges Thema für Chen Danyan ist das Reisen. Ihr ausgeprägtes Fernweh führte sie oft nach Europa – 2001 zum Beispiel als Gast des internationalen literaturfestivals berlin – brachte sie aber auch zu einer intensiven Beschäftigung mit ihrer Heimatstadt Shanghai und deren europäischen Einflüssen. Im September 2010 stellte die Schriftstellerin auf Einladung des Konfuzius-Instituts Hamburg im Rahmen der CHINA TIME ihr neues Buch über die Geschichte des Shanghaier Bunds mit seiner Kolonialarchitektur vor. Ein weiterer Termin folgt am 9. November 2010: Chen Danyan ist für die Veranstaltungsreihe China Begegnungen 2010 nach Oldenburg eingeladen.


1) Womit haben Sie sich in der letzten Zeit beschäftigt?

Mit der Fertigstellung eines Reisebuchs, in dem ich zusammen mit meiner Tochter die Notizen von unseren gemeinsamen Reisen verarbeite. Angefangen haben wir mit den Aufzeichnungen, als sie acht Jahre alt war und sie dann aufgehoben, bis in diesem Jahr der Uniabschluss meiner Tochter bevorstand und wir für die Zeit danach über ein Brückenjahr beratschlagten. Da wurde uns bewusst, dass das Reisen sie bei ihrem Heranwachsen begleitet hatte. Und so haben wir den Sommer über die Reisenotizen geordnet und sind nun dabei, ein Buch daraus zu machen; auch um Eltern, die mit ihren Kindern heutzutage auf Reisen gehen, an unseren Erfahrungen aus all diesen Jahren teilhaben zu lassen.

2) Wann und wie kamen Sie zum ersten Mal in Berührung mit Deutschland?

Im Frühling 1992 kam ich zum ersten Mal nach Deutschland, als Gastwissenschaftlerin der Internationalen Jugendbibliothek München. Damals reiste ich durch Deutschland, machte Bekanntschaft mit der deutschen Kultur und schloss Freundschaften, die bis heute andauern.

3) In welcher Weise hat die Begegnung mit Deutschland Ihr Schaffen oder Ihr Leben beeinflusst?

Deutschland ist das erste europäische Land, das ich bereist habe und mit dem ich intensiv in Berührung kam. Dass mein Roman Neun Leben auf Deutsch veröffentlicht wurde, war nicht zuletzt ein Verdienst der deutschen Übersetzerin. Für die deutsche Ausgabe dieses Buches wurde mir ein UNESCO-Literaturpreis verliehen, und in drei deutschsprachigen Ländern erhielt ich dafür erste und zweite Preise. Das hat mich sehr ermutigt.

Durch die Erfahrungen, die ich beim Leben und Arbeiten in Deutschland gemacht habe, wurde mir bewusst, dass ich ein Mensch mit großem Fernweh bin. Also begann ich, jedes Jahr eine Zeitlang in der Welt herumzureisen, wobei ich meistens europäische Länder besuchte. Dadurch wurde mir klar, dass für meine Generation, die ihre Jugend in einer von der Außenwelt isolierten Gesellschaft verbracht hat, die europäische Kultur einen ganz nachhaltigen und weitreichenden Einfluss hatte, sie hat uns tief geprägt, das macht diese Generation geradezu einzigartig.

4) Was war Ihr schönstes Erlebnis in Deutschland?

Bei einem Leseabend in einer Freiburger Buchhandlung fragte mich einmal ein Leser, warum man in meinen Werken so starke Anklänge an die russische Literatur spüren könne. Damals hatte ich das Gefühl, dass dieser deutsche Leser meine Bücher wirklich verstanden und die Stimmung wahrgenommen hatte, die meine persönlichen Erfahrungen und die Lesevorlieben meiner Jugend in meinen Werken hinterlassen haben. Die selbe Frage hat mir bisher nur einer meiner Kommilitonen an der Universität, der später der Lektor meiner Bücher wurde, gestellt. An jenem Abend merkte ich, dass auch deutsche Leser mir sehr nahe sein können.

5) Was war Ihr unerfreulichstes Erlebnis in Deutschland?

Als ich mich in Berlin mit meinem Freund gestritten hatte und mich deswegen alleine auf den Heimweg machte. Ich nahm den falschen Ausgang in der U-Bahn und verirrte mich prompt. Damals habe ich mich sehr einsam gefühlt.

6) Haben Sie eine deutsche Lieblingsspeise?

Kalte Frikadellen mit Schwarzbrot.

7) Was ist für Sie „typisch deutsch“?

Die so eigenwilligen und ernsten Denkfalten in der Region zwischen den Augenbrauen, dieser ernste und grüblerische Gesichtsausdruck.

8) Welche Kulturleistung aus Deutschland beeindruckt Sie am meisten?

Die ernsten Themen in der Literatur.

9) Mit wem in Deutschland würden Sie gerne einen Tag tauschen?

Mit einem Kellner in einem Kaffehaus in Berlin-Mitte. Dort habe ich an meinen Büchern geschrieben, Freunde getroffen, gegessen, mir Notizen gemacht, Journalisten Interviews gegeben und meine Gefühle und Gedanken geordnet. Kurzum, für mich war die Zeit, die ich dort reichlich verbracht habe, sehr sinnvoll. Die Geräuschkulisse in diesen Kaffehäusern ist mir vertraut, und ich liebe ihre Kartoffelsuppe. Ich habe mir immer ausgemalt, selbst als Bedienung zu arbeiten, eine lange, schwarze Kellnerschürze zu tragen, lässig und flott zugleich. In diesem Job wäre ich ganz zuhause.

10) Welche Gewohnheit oder Idee aus Deutschland würden Sie gerne in China übernehmen?

Dass man abends auch mal etwas ganz Einfaches essen kann.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Underground ist kein Tourismusunternehmen

Dieser Artikel erscheint in Medienpartnerschaft mit dem Deutsch-Chinesischen Kulturnetz www.de-cn.net. Martina Bölck berichtet von Filmschaffenden und der Vielfältigkeit der Independentszene in China.

Eines Tages erhielt der Kieler Independentfilmer Karsten Weber eine Email aus China. Sie kam von Ni Kun (倪昆), einem jungen Kurator der freien Filmszene, er lud Weber und seine Filmgruppe Chaos nach China ein. 2006 zogen sie als Blitzfilm zum ersten Mal mit einer bunten Mischung deutscher Filme durch Universitäten und Festivals. Weitere Reisen folgten. Die deutschen Filmemacher, die bis dahin nichts mit China zu tun hatten, waren überrascht von der Vielfältigkeit der Independentszene, vom Interesse des Publikums und von den Freiräumen jenseits der staatlichen Zensur. Ihr Chinabild geriet ins Wanken.

Diese Erfahrung wollte Weber weitergeben. Er lud Ni Kun und einige Filmemacher zum Gegenbesuch ein. In Hamburg war das Festival China Underground – Der kritische Blick von unten vom 16. bis 19. September im Rahmen der China Time 2010 zu sehen. Weitere Stationen sind Kiel, Husum und Heidelberg.

„China ist kein monolithischer Block“, betont Weber immer wieder. „Was wir in den Medien davon mitkriegen, ist nur ein kleiner Ausschnitt.“ Er möchte Dinge zeigen, „die nicht in dieses Bild passen“. Das Programm ist bunt gemischt: Spiel- und Dokumentarfilme, Kurzfilme, Fernsehdokumentationen und als Gag ein Klassiker von 1961, Die rote Frauenarmee, verfremdet durch elektronische Live-Musik. Der rote Faden des Festivals ist, chinesische Produktionen zu zeigen, die Ausdruck der Wechselwirkung zwischen Underground, offiziellen Medien und staatlicher Politik sind.

Zusammenwirken von Medien und Gesellschaft

Auch die staatlichen chinesischen Medien sind – schon aus ökonomischen Gründen – auf neue Themen angewiesen. Manche Fernsehanstalten drücken Laien Kameras in die Hand, diese durchstreifen dann die Stadt auf der Suche nach Sensationen, die sie später vielleicht dem Sender verkaufen können. Der Eröffnungsfilm Disorder von Huang Weikai (黄伟凯) zeigt einen Zusammenschnitt solcher Amateurfilme. Man sieht Autounfälle, überschwemmte Straßen, verhaftete Verbrecher, Kakerlaken in Restaurants ... Diverse Ordnungshüter versuchen dem Chaos Herr zu werden, doch man hat nicht den Eindruck, dass es ihnen gelingt.

Es gebe zwar die staatliche Zensurbehörde, antwortet die Filmemacherin Wang Bang (王梆) auf die Frage nach Zensur, aber viele Independentfilme würden dort gar nicht erst vorgelegt. Selbst Filme, die durch die Zensur fielen, könnten auf unabhängigen Festivals und an Universitäten gezeigt werden. Sie hat sich mit University City Savages an ein heikles Thema gewagt: Der Film dokumentiert den Kampf von Bauern gegen die Zwangsenteignung und den Abriss ihres Dorfes, das einem Universitätsgelände weichen soll.

Welchen Einfluss die Medien auf solche Geschichten haben können, zeigt der Film The Nail von Jiang Zhi (蒋志): In der Innenstadt von Chongqing wehrt sich ein Ehepaar gegen den Abriss seines Hauses ohne angemessene Entschädigung. Das Bild vom Haus, einsam inmitten einer Baugrube, geht durch die Medien, die Hausbesitzer werden zu Stars und erhalten soviel Zuspruch aus der Bevölkerung, dass die Baufirma schließlich einlenken muss.

Andere Filme zeigen Schicksale hinter den Nachrichten: To Live is Better than to Die von Chen Weijun (陈为军) wurde in einem Dorf gedreht, in dem sich viele Bewohner, die durch Blutspenden etwas Geld verdienen wollten, durch unzureichende Hygienemaßnahmen mit HIV ansteckten. Der Film begleitet eine Familie, in der bis auf die älteste Tochter alle infiziert sind. Die Mutter ist bereits krank, sie stirbt noch während der Dreharbeiten. Der Vater kümmert sich liebevoll um die drei kleinen Kinder und bemüht sich, das alltägliche Leben aufrecht zu erhalten. Man sieht seine Freude über die ersten Schritte des kleinen Sohnes, wohl wissend, dass dieser das vierte Lebensjahr kaum erreichen wird.

Nach dem Erdbeben im Mai 2008 in Sichuan wurden schwere Vorwürfe gegen Kader erhoben, die an Baumaterialien für Schulen gespart und dadurch den Tod von tausenden Kindern verursacht haben sollen. Der Film Mayday von Ma Zhandong (马 占冬) zeigt ein Ehepaar, das seinen einzigen Sohn beim Einsturz einer Schule verlor. Nebenbei erfährt man viel darüber, mit welch enormem Improvisationstalent Menschen nach einer Katastrophe ihren Alltag wieder aufbauen.

Chinabilder zwischen Multikulti und sozialer Tristesse

Aus dem Rahmen fällt der Spielfilm The Rat Trap and the Rose von Wang Bang (王梆). In ruhigen Bildern lässt sie ein arriviertes französisches Paar mit Eheproblemen, ihr chinesisches Hausmädchen, das von einem Leben in den USA träumt, und einen illegalen Einwanderer aus dem Kongo aufeinander treffen. Ein neues multikulturelles China, in dem Ausländer nicht automatisch reich sind.

Weber will zeigen, wie kritisch und offen heutzutage in China Filme gemacht werden, „was für aufgeweckte und mutige Menschen es dort gibt“. Er hat ständig das Gefühl, sich rechtfertigen und erklären zu müssen. „Manche Leute reagieren richtig sauer, wenn man ihnen ihr Chinabild nimmt.“

Und doch ist das Bild, das die meisten Filme vermitteln, so neu nicht. Es ist ein China im Umbruch, mit einer schwierigen Vergangenheit und sozialen Problemen, desolat, mit Hochhäusern, Autobahnbrücken und entwurzelten Menschen. Bilder vom tristen Großstadtleben und den Verlierern des Aufschwungs kamen schon Anfang der Nuller Jahre in die deutschen Kinos, als eine neue Generation von Regisseuren damit die Festivals im Ausland eroberte.

„Warum zeigen Sie so viele negative Dinge von China?“, fragt eine Chinesin aus dem Publikum. „Weil sie wahr sind“, antwortet Ni Kun (倪昆). „Es gibt auch positive Dinge, die wahr sind“, versetzt sie.

Am Ende hat man den Eindruck, dass es in China eine interessante Gegenkultur gibt. Aber das China, von dem sie erzählen, ist nicht gerade einladend. Underground ist eben kein Tourismusunternehmen.

„Sie dürfen nicht vergessen“, sagt Ma Zhandong (马占冬), „dass die Filme, die Sie hier sehen, nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit darstellen. Wenn Sie China wirklich kennen lernen wollen, sollten Sie hinfahren.“

Blitzfilm jedenfalls wird schon im November wieder nach China reisen, mit vielen neuen Filmen im Gepäck, um das Deutschlandbild der Chinesen durcheinander zu bringen.

Text: Martina Bölck
Autorin, Hamburg
Oktober 2010
Links zum Thema
Webseite BLITZFILM
Zum Originaltext

Bildquellen:
Ausschnitt Plakat „China Underground“ © Blitzfilm
Im Foyer des Kinos: Von links nach rechts: Cheng Le (陈乐), Karsten Weber, Martina Stache, Sun Xiao Yun (孙晓筠), Hu Qing (胡晴), Ma Zhandong (马占冬), Ni Kun (倪昆), Foto: Martina Bölck
Plakat „China Underground“ © Blitzfilm

Montag, 18. Oktober 2010

„China: Ein Land mit Tausend Facetten“ – Olympiasiegerin Britta Heidemann im Interview

Die diesjährige Kulturbotschafterin Britta Heidemann erzählt im Interview mit der Expolingua Berlin von ihren Erfahrungen mit der chinesischen Kultur, was China so faszinierend macht und welche Hürden beim Erlernen der chinesischen Sprache zu meistern sind.

Chinesisch ist Gastsprache auf der diesjährigen Expolingua Berlin 2010. Frau Heidemann, Sie waren schon als Jugendliche für einen Schulaufenthalt in China, studierten Regionalwissenschaften (China) und sind auch sportlich im Land der Mitte unterwegs. Was hat Sie damals an China fasziniert und was finden Sie heute noch beeindruckend?

China ist ein Land mit tausend Facetten – wer in China rumreist, findet heraus, dass es nicht nur viele unterschiedliche topographische und klimatische Begebenheiten gibt, sondern auch überall anderes Essen, andere Lebensstile und Lebensbedingungen, andere Menschen. Besonders beeindruckt hat uns neben der faszinierenden Sprache diese alte Kultur, die wie selbstverständlich auch heute noch den Kindern vermittelt wird.

Wie würden Sie die chinesische Sprache beschreiben? Was ist das Besondere am Chinesischen?

Beim Lesen chinesischer Texte muss ich immer an Kreuzworträtsel denken. Da es keine Leerzeichen gibt, muss man selber herausfinden, wo ein Wort endet und das nächste beginnt. Die Sprache fand ich schon immer besonders melodisch, mir gefallen die verschiedenen Tonhöhen. Gut für uns Deutschen beim Lernen des Chinesischen ist, dass uns die Aussprache ziemlich gut liegt, auch wenn man das nicht vermuten mag.

Als Sportlerin reisen Sie sehr viel, sind in den unterschiedlichsten Ländern unterwegs und lernen Menschen aus den verschiedensten Kulturkreisen kennen. Wie schätzen Sie die Bedeutung von Sprachkenntnissen ein?

Für mich ist die Sprache die Basis für jegliche Kommunikation. Auch unter uns Sportlern haben wir nur eine Chance zu erfahren, wie der Alltag einer russischen oder chinesischen Sportlerin aussieht, wenn diese auch etwas Englisch sprechen können. Sonst kann man ja nichts von dem anderen erfahren, was er macht, was er denkt. Zum Glück konnte ich durch das Chinesisch früh mit meinen chinesischen Kolleginnen sprechen und habe so einen Einblick in das chinesische Denken bekommen. Insgesamt bringen Sprachkenntnisse auch den Vorteil, dass man mehr Vertrauen entgegengebracht bekommt und man anfängliche Barrieren somit überspringen kann.

Wie lernen Sie selbst Sprachen? Haben Sie Empfehlungen für unsere Besucher?

Ich schaue mir immer gerne die Grammatik an, sie ist das Gerüst einer jeden Sprache. Wenn ich die verstanden habe, muss man den Rest nur mit Wörtern auffüllen. Das hat bisher sehr gut funktioniert. Ansonsten: Reden, reden, reden.

Kann der Sport als Brückenbauer zwischen verschiedenen Kulturen fungieren?


Sport verbindet verschiedene Völker im übergeordneten Sinne auf eine ganz besondere Art und Weise. Im Gefecht oder auf dem Spielfeld zählen nur die sportlichen Regeln, da gibt es keine politischen, religiösen oder kulturellen Barrieren. Sport ist keine Frage der Nationalität, und das ist etwas Wunderbares.

Frau Heidemann, vielen Dank für dieses Interview


Bildquelle: Ulrich Hartmann

Donnerstag, 14. Oktober 2010

China hautnah, Teil II – Sprache und Kultur erleben

„Durch jede neue Erfahrung, die ich in China mache wächst meine Faszination für dieses Land und seine Sprache“. Im ersten Teil des Interviews mit der Studentin Pilar Czoske erfuhren wir mehr über die Hintergründe ihres Aufenthalts im Land der Mitte. Heute erzählt Pilar von ihren Erfahrungen mit der chinesischen Sprache.

Was macht China in ihren Augen so besonders?

Nach und nach konnte ich in die Kultur und Sprache Chinas eintauchen. Das beginnt damit, den Alltag, die Essensgewohnheiten und Familienwerte kennen zu lernen und mitzuerleben. Weiter geht es mit der chinesischen Sprache: das Erfassen der komplexen Schriftzeichenwelt und dem aktiven Erlernen der Sprache durch hören und sprechen. Aber auch die Kontraste sind es, die faszinieren – von sehr modernen Bauten, einem nahezu futuristischem Stadtbild bis hin zu kleinen Seitengassen mit seinen Düften der Straßenküchen, Wäscheleinen, Handwerkslädchen sowie Kinderstimmen und alte Leute, die sich um einen Tisch gesellen und Brettspiele spielen.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit der chinesischen Sprache?

Ich glaube, wenn man Neugier und Freude mitbringt, die Welt der Schriftzeichen zu erkunden, ist das Chinesisch zumindest immer spannend und eine große Herausforderung. Meine persönlichen Erfahrungen sind, dass man viel Ausdauer und Geduld haben sollte, um diese Sprache Schritt für Schritt zu erlernen. Vor allem darf man nicht die Erwartungen an sich selbst stellen, Chinesisch nach einem Jahr gut sprechen zu können. Da ist das Verstehen, das Sprechen und schließlich Schreiben und Lesen - alle diese Bereiche sind auf verschiedene Weise zu erlernen. Legt man den Schwerpunkt beispielsweise nur auf das Hören und Sprechen, bedeutet dies nicht, dass man auch Chinesisch schreiben kann. Legt man hingegen den Schwerpunkt auf das Erlernen der Schriftzeichen und Satzstrukturen, bedeutet dies wiederum nicht, dass man sich im Alltag unterhalten kann.

Was fällt Ihnen leicht beim Gebrauch der chinesischen Sprache? Was ist eher schwierig?

Wenn man sein Hörverständnis schult, hat man schon viel gewonnen. Um die Sprache aber wirklich zu erlernen und die chinesische Kultur „umfassender“ kennenzulernen, ist es jedoch meiner Meinung nach am wichtigsten, Schreiben und Lesen zu können. Dann öffnen sich wieder viele Türen, um China und seine Denkweisen zu verstehen oder einfach auch nur anders wahrzunehmen. Trotzdem finde ich, dass für mich die Zeichenwelt die größte zu bewältigende Aufgabe darstellt. Oft vergesse ich wieder Zeichen oder die verschiedenen Kombinationen ergeben wieder einen neuen Sinn, den man erst im Zusammenhang des ganzen Satzes versteht. Das ist kompliziert und manchmal auch anstrengend.

Montag, 11. Oktober 2010

China hautnah, Teil I – Was ein Auslandsaufenthalt so mit sich bringt

Neugierde, Abenteuerlust und Interesse an fremden Kulturen – das war die Motivation der neuzehnjährigen Pilar Czoske für ein halbes Jahr nach China zu gehen. Nach einem sechswöchigen Praktikum am Deutsch- Chinesischen Institut für Rechtswissenschaften in Nanjing verbringt sie momentan ein Auslandssemester an der Zhengfa Daxue, der Chinese University of Political Science and Law in Beijing. Realisieren konnte sie ihren China-Aufenthalt über ein Austauschprogramm der Rechtswissenschaftlichen Fakultät ihrer Heimatuniversität Köln sowie mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD. Für unseren Blog berichtet Pilar von Ihren Erfahrungen im Land der Mitte, in Teil eins geht es unter anderem um chinesische Geburtstagsfeiern.

Frau Czoske, wie sind Sie auf den Gedanken kommen eine gewisse Zeit in China zu verbringen?

Für mein Doppelstudium Regionalstudien China / Rechtswissenschaften wird empfohlen nach China zu gehen, um Kultur und Sprache vertiefend zu verstehen und Chinesisch zu lernen. Nach meinem Studienbeginn haben sich die Möglichkeiten und Optionen für ein Studium in China nach und nach dann ergeben. Vor allem der rege Rechtsdialog zwischen Deutschland und China haben mein Interesse geweckt. Hier in China gibt es zwei Institute, einmal in Nanjing und in Peking, die im Bereich des deutsch- chinesischen Kulturaustausches tätig sind. Ich fand es sehr spannend, dort auch mal aktiv mitwirken zu können.

Was hat Sie an China besonders interessiert?

Am ostasiatischen Kulturkreis und insbesondere an China hat mich zunächst gereizt, dass ich über dieses Land und diese Kultur überhaupt nichts wusste. Deswegen habe ich mich auch entschieden, Regionalstudien China in Verbindung mit Rechtswissenschaften zu studieren. Es ist ein Bereich, von dem ich keinerlei Kenntnisse hatte und mein Grundgedanke dahinter war, die Welt und Menschen ein bisschen besser zu verstehen, einzuschätzen und aus einem weiteren Blickwinkel kennenzulernen.

Auch reizt es mich sehr, ein neues Verständnis entwickeln zu können, wie ein komplett anderes Regierungs- und Gesellschaftssystem funktioniert, dass auf einer komplett anderen Geschichte und zum Teil anderen gesellschaftlichen Werten fußt.

Können Sie uns einen kurzen Einblick in Ihre interkulturellen Erfahrungen mit den Chinesen geben?
Diese Frage lässt sich am leichtesten anhand von Anekdoten schildern, wie zur Esskultur in meiner chinesischen Gastfamilie: Bei einer Geburtstagsfeier eines Familienmitglieds gab es reichlich in einer für mich als Deutsche eigenartigen Reihenfolge. Nach dem wir gut eine Stunde sämtliche chinesischen Speisen genießen konnten, kam der Nachtisch. Danach standen nochmal drei Nudelgerichte auf dem Tisch. An Geburtstagen ist es wohl üblich, Nudeln zu essen, da sie ein langes Leben symbolisieren sollen. Nach den Nudeln wurde dann die Geburtstags-Sahnetorte aufgetischt. Anschließend hat mich meine Gastmutter noch mitgenommen, um frischen Fisch für den nächsten Tag zu kaufen. An diesem Abend wollte ich mir lieber nicht vorstellen, was für eine Gerichtsmischung in meinem Magen verdaut werden musste. Aber es war wirklich spannend zu erleben, wie eine chinesische Familie Geburtstag feiert. Das Essen stand ohne Zweifel im Mittelpunkt.

Das Leben im Studentenwohnheim an einer chinesischen Universität ist wiederum ganz anders als in Deutschland. Ausländische Studenten und chinesische Studenten wohnen an der Zhengfa Daxue zusammen. Wir teilen uns zu dritt ein Zimmer, die Toiletten und Waschbecken sind auf jedem Stockwerk verteilt. Duschmöglichkeiten gibt es aber nur zu bestimmten Duschzeiten im Keller des Gebäudes. Außerdem werden die Tore der Uni jeden Abend um 23 Uhr geschlossen. Kommt man später muss man Geheimwege ausfindig machen, um noch zu seinem Zimmer zu gelangen.

Auch wenn ich die vielen neuen Eindrücke in vollen Zügen genieße, muss ich auch gestehen, dass es manchmal schwierig ist, sich nicht richtig ausdrücken zu können und dadurch Kommunikationsschwierigkeiten entstehen. Aber ich freue mich darauf, dass Land so fassettenreich wie möglich erkunden zu können und ein Einverständnis für einen anderen Kulturkreis entwickeln zu können.

In Teil zwei erfahren Sie unter anderem, wie Pilar mit der chinesischen Sprache zurechtkommt.

Bild: East China University of Political Science and Law, Shanghai , Quelle: Wikipedia